L-110 Gazelle VI

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Am 10. November 1921 wurde Steinlechner–Werft eine 30qm–Rennklasse auf Kiel gelegt. Der zukünftige Eigner H. W. Mutzenbecher gehörte dem Norddeutschen Regatta–Verein (NRV) an. Folglich segelte sein “Gazelle VI” ab der Saison 1922 auf der Alster. Benannt war die “Gazelle” nach dem Expeditionsschiff “SMS Gazelle” (1859–1906) und einem gleichnamigen Kreuzer (1911–1945)

Paul Francke aus Berlin hatte das Boot konstruiert, gebaut wurde es bei der berühmten Steinlechner–Werft in Utting am Ammersee. Die quasi Hauswerft der Curry gehörte zu den renomierten Adressen des deutschen Yachtbaus. Sonderklassen (Passat, Marion), Jollen (Bold, Krabbe), Schärenkreuzer (Nixe), 20qm Rennklassen (Birschling, Aero), 75 qm–Kreuzer, 30qm–Binnenkieler (L–110 Gazelle VI, L–147 Tarantella III) um nur die Besten zu nennen wurden hier gebaut.

Die “Gazelle VI” hatte insgesamt ein erfolgreiches Regattaleben in der Blütezeit der L–Boote. Bei der Hambuger Frühlingsregatta 1922 ersegelte Paul Francke, der in erster Linie ein sehr erfolgreicher Segler war, den ersten Platz. H. W. Mutzenbecher selbst war weniger erfolgreich und konnte sich in den Jahren 1922/23 maximal auf einen dritten Platz schieben.

Zu den Gegnern in dieser Zeit zählten u.a. die folgenden L–Boote: L–*18* “Marama II”, L–*41* “Carmen II”, L–*47* “Hagenstolz” (ex “Hansi III”), L–*53* “Helene”, L–*69* “Windspiel XX”, L–*70* “Frechdachs II” (später als “Elgre”) , L–*77* “Hai III”, L–*81* “Carmen III” (jetzt auf dem Bodensee), L–*82* “Ellen IV”, L–*83* “Lilo” (jetzt als “Tir Na Nog” auf dem Bodensee), L–*87* Nelia (jetzt als “Targon” auf dem Wannsee), L–*91* “Bajazzo”, L–*102* “Marama III” (jetzt als “Najade” auf dem Thunersee). Dabei segelte die “Gazelle” teilweise mit einem alten Grosssegel von der L–59 (der “Gazelle V”).

Im Juli 1923 zeigt sich erneut, was ein versierter Steuermann wert ist. Auf der Münchner Woche belegte Dr. Meyer–Absberg mit der “Gazelle VI” insgesamt sechs mal den ersten Rang und errang zusätzlich einen Extrapreis! Dr. Meyer–Absberg würdigte die L–110 als elegantes und schnelles Leichtwindboot.

Die Regattazeit der L–Boote in Hamburg endete 1924, die Segelverhältnisse waren zu rau für diese Bootsklasse. H. W. Mutzenbecher stieg auf Schärenkreuzer um und hatte auf Anhieb mehr Erfolg!

Und so bekam die L–110 mit Hans Rübsamen, Textilunternehmer aus Augsburg, einen neuen Eigner und segelte unter dem Namen “Candida” auf dem Würmsee (heute als Starnberger See bekannt). Im Top wehte der Stander des D.T.Y.C. (Deutscher Touring Yacht–Club).

Und die L–110 segelte erfolgreich: Münchner Frühjahrswoche: 1. Platz, Münchner Woche: 2. Platz, Regatta in Bregenz: 2.Platz – so ging es weiter mit ersten und zweiten Plätzen bis 1929.

Im Jahre 1930 übernahm Rudolf Rübsamen das Boot und brachte es zum Augsburger Segelclub (ASC) an den Ammersee. Auch dieser Eigner segelte “Candida” sehr erfolgreich. Laut den Unterlagen stehen nur erste Plätze zu Buche. Eine erste gründliche Renovierung folgte im Weiter 1930/1 bei Johann Reindl.

Aus den Regattalisten läßt sich ersehen, gegen welche L–Boote die “Candida in der Zeit bis 1935 segelte. Es waren L–*13* “Marlis”, L–*54* “Circe III” (ex “Esmeralda VIII”), L–*58* “Kikriki”, L–*61* “Pün IX” (ex “Trudel III”), L–*63* “Annemirl II”, L–*73* “Wackes” (ex Tarantella II), L–*81* Rasso (ex Carmen III, heute wieder als “Carmen III” auf dem Bodensee), L–*83* “Schuft” (ex “Lilo”, jetzt als “Tir Na Nog” auf dem Bodensee), L–*84* Hornus (ex Gipsy X, jetzt als “Alter Herr” auf dem Bodensee), L–*114* “Twiel”, L–*118* “Gipsy XI”, L–*121* “Pa–Litz” (ex “Carmen IV”, “Graf VIII”), L–*124* “Makaria”, L–*135* “Flamingo V” (ex “Geier II”), L–*138* “Trulla”, L–*143* “Jugend II”, L–*145* “Biller” (ex “Gipsy XIII”), L–*147* Tarantella III (jetzt als “Marlin” im Rheinland), L–??? “Schuft” (ex “FlamingoVI”).

Alle haben’s versucht doch selten geschafft. L–110 war laut Bericht in der Yacht “das erfolgsreichste Boot des Südens“.

In den 30er–Jahren gab es noch einen Eigner– und Namenswechsel. Herr Oemler, seines Zeichens Diplom–Ingenieur in Augsburg, übernahm die “Candida” unter dem neuen Namen “Wildfang V”.

Nach dem Krieg im Jahre 1947 erwarb Dr. Helmut Sauter, Zahnarzt in Augsburg, die L–110 und taufte das Boot auf den sinnigen Namen “Windnudel”. Er segelte alle Regatten auf dem Ammersee bis in die 50er Jahre mit sehr gutem Erfolg. Zunächst war die “Windnudel” mit einem Gaffelrigg versegen – “für Starkwetter”!!! Später rüstete der Eigner auf einen Peitschenmast um – Dr. Sauter war sehr experimentierfreudig!

Aber die Regattazeiten waren wohl vorbei. Es gab noch mehrere Eignerwechsel, aber keine nennenswerten Regattaergebnisse.

Eigner ab 1957 war Prof. Dr. Dr. Kurt Hemmerich, ein Chirurg aus München. Das Boot fuhr unter dem Stander des ASC und dem Namen “Carina”.

Im Jahre 1960 erwarb Robert Bernhardt, Augsburg, das Boot. Der letzte DSV–Meßbrief war bis zum 10.04.1964 gültig. Im Winter 1963/64 folgte eine weitere Renovierung

Der nächste Eigner der “Carina”, Prof. Otto Blum aus Bregenz ( Fussach), erwarb das Boot 1973 und bis 2006 sollte es im Familienbesitz verbleiben. L–110 war ein reines Freizeitschiff und wie bei vielen anderen Booten auch bekam es die damals “trendige” Polyesterhaut.

Im Jahre 1991 übergab Prof. Blum das Boot an seinen Sohn, Dieter Blum aus Pettenbach. Er übernahm zusammen mit seiner Frau Dipl. Ing. Karin Blum die L–110 und segelte sie als Familienboot auf dem Attersee bis in das Jahr 1996. Ab da stand “Carina” in einer Halle und ab 2001 unter einer Plane im Garten.

Seit dem 09.12.2006 heißt der neue Besitzer Peter Pfister aus Arbon.

Die L–110 hat wirklich sehr schöne und elegente Linien! Die umfassende Renovierung 2007/2008 nahm das Team von der Michelsen–Werft (Jochen Landolt) in Friedrichshafen vor. Mahagonie–Rumpf, weißes Deck und ein imposanter neuer Mast prägen das Boot. Auch die Details sind stimmig, vom Bugbeschlag bis zu den Decksbeschlägen aus polierter Bronze.

Am 05.07.2008 ist die “Gazelle VI” nach zwölf Jahren wieder im Wasser. Die offizielle Taufe findet am 11.08.2009 in Arbon statt.

Name
Gazelle VI
Ex-Namen
Gazelle VI
Candida
Wildfang V
Windnudel
Carina
Baujahr
1922/23
Konstrukteur
Paul Francke
Werft
Steinlechner
Länge über alles
8,65 m
Länge Wasserlinie
0,00 m
Breite
1,92 m
Breite Wasserlinie
0,00 m
Tiefgang
1,10 m
Verdrängung
1.325 kg
Takelung
Hochtakelung
Mast
Spruce
Masthöhe
12,00 m
Status
segelklar
  • 19231

Hamburger Frühjahrswettfahrten auf der Alster